Über den dolus eventualis
Keywords:
dolus eventualis; bewußte Fahrlässigkeit; Vorstellungstheorie; Willenstheorie; AbgrenzungskriteriumAbstract
Die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes (dolus eventualis) von der Fahrlässigkeit gehört zu den umstrittensten Fragen der Vorsatzlehre. Nach anfänglichen Definitionsversuchen des dolus eventualis hat der Gesetzgeber letztendlich doch auf eine Regelung über den bedingten Vorsatz im deutschen Strafgesetzbuch verzichtet und diese Frage vielmehr der Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen. Nach einer kurzen Erklärung zur unumstrittenen Abgrenzung des dolus eventualis von den beiden anderen Erscheinungsformen des Vorsatzes, der Absicht und dem dolus directus, wird etwas näher auf die Vorstellungs– und die Willenstheorie (auch Billigungs– oder Einwilligungstheorie genannt) eingegangen, wobei auch die Schwächen beider Theorien aufgezeigt werden. Diese werden konkret am Lederriemenfall aus dem Jahre 1955., einem leading case der deutschen Rechtsprechung erörtert, in welchem der Bundesgerichtshof der Billigungstheorie einen anderen Sinn, bzw. eine dritte Lösung, die zwischen der Vorstellungs– und der ursprünglichen Billigungstheorie liegt, gegeben hat. Die Strafwürdigkeitsdifferenz, die zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit besteht, soll am präzisesten durch eine „Entscheidung für die mögliche Rechtsgutverletzung“ als Abgrenzungskriterium in einer zur Entscheidung zwingenden Abwägungssituation wiedergegeben werden, welches nicht nur den quantitativen, sondern auch einen qualitativen Unterschied zum Ausdruck bringt (vom Bundesgerichtshof in Form der verfehlten Terminologie des „billigenden Inkaufnehmens“ praktiziert). Da eine solche Entscheidung aber kein äußerlich sichtbarer Vorgang ist, sondern nur aus Indizien erschlossen werden kann, bedarf es einer weiteren Konkretisierung. Formeln die bisher dafür benutzt wurden („Ernstnehmen“, „Inkaufnehmen“ oder „Sich-Abfinden“ mit dem Erfolg) gehen in ihrem Aussagegehalt über das Entscheidungskriterium nicht wesentlich hinaus, so dass ein Verfahren nötig erscheint, das an nachprüfbare Sachverhaltsumstände anknüpft und diese als „Anzeichen“ dafür benutzt, ob eine rechtsgutfeindliche Entscheidung vorliegt oder nicht. Drei der wichtigsten Indikatoren, die jeweils durch Beispiele veranschaulicht werden, sind die erkannte Gefährlichkeit des eigenenVerhaltens; die vom Täter einberechnete Chance des Opfers, der Gefahr aus eigener Kraft zu entkommen und das Fehlen eines Motivs für die Inkaufnahme eines Erfolges. In Zweifelsfällen, in denen einzelne Indikatoren in entgegengesetzte Richtungen weisen, ist es nötig, alle Umstände des konkreten Falles in die Beurteilung einzubeziehen, bzw. eine „Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände“ durchzuführen, was den Endpunkt der genannten Entwicklung darstellt und auch vom Bundesgerichtshof verwendet wird. Abschließend wird noch darauf hingewiesen, dass sich mit der genannten Entwicklung auch die Methoden der Vorsatzfeststellung radikal geändert haben, da der Vorsatz nunmehr, wenn man dem Verfahren der indikationsgestützten Gesamtbetrachtung folgt, kein psychisches Faktum, sondern ein richterliches Werturteil ist. Seine Ermittlung ist demnach keine empirische Feststellung, sondern eine vom Richter durchgeführte normative Zuschreibung. Hierin zeigt sich auch die für die neuere Strafrechtsdogmatik kennzeichnende Wendung vom Ontischen zum Normativen.
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Copyright (c) 2010 Claus Roxin; Ivana Marković (Translator)
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